06.04.2020 /

Patientenbegleitung mit Verständnis und Empathie

Wenn der eigene Leidensweg den Berufsalltag prägt
Lesezeit ca. 7 min

Marlen Richter hat ihre Berufung bereits früh gefunden: Die Pflege und Unterstützung chronisch Erkrankter wird nach einem freiwilligen sozialen Jahr ihr Traumjob. Nach Jahren in der Altenpflege zwingt die eigene Leidensgeschichte die junge Frau jedoch zum Umdenken. In einem Gespräch erzählt uns Marlen, wie sie trotz – oder gerade wegen – ihrer chronischen Erkrankung Karriere machte und wie sich aus diesem Missstand eine persönliche Chance entwickelte.

 

Verbergen oder offenlegen? Der Umgang mit chronischen Erkrankungen am Arbeitsplatz

Mehr denn je verlangt der Arbeitsalltag vieler Angestellter heute ein hohes Maß an Belastbarkeit und Flexibilität. In Branchen wie der Pflege sind die Anforderungen bisweilen kaum zu bewältigen: Schichtarbeit, ein hohes Patientenaufkommen und die mentalen und physischen Herausforderungen bringen das Pflegepersonal oft an seine Grenze. Doch wie geht es chronisch kranken Mitarbeitenden in diesem System? Denn laut der 2012 veröffentlichten Studie des Robert Koch-Instituts leiden 43 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer an mindestens einer chronischen Krankheit. Besonders häufig handelt es sich hierbei um Atemwegs-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs. Mindestens jeder dritte Erwerbstätige sieht sich aufgrund der eigenen Gesundheit also tagtäglich mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert. Die Angst, als nicht belastbar zu gelten, und überdurchschnittliche Fehlzeiten kosten nicht nur Kraft, sondern erschweren auch einen erfolgreichen Karriereweg. Daher ergibt sich für viele Betroffene die Frage, ob sie offen mit ihrer Erkrankung umgehen oder diese im Berufsalltag verbergen sollen.

Diese Frage stellte sich auch die 37-jährige Marlen Richter, nachdem sie 2003 an Morbus Crohn erkrankte. Die Diagnose veranlasste die examinierte Altenpflegerin dazu, sich zusätzlich zur Praxisanleiterin und gerontopsychiatrische Fachkraft ausbilden zu lassen. Nicht zuletzt durch ihr zunehmendes Interesse an den rechtlichen Abläufen im Gesundheitssystem entschloss sie sich 2017 außerdem zu einer Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Diese weiterführenden Qualifikationen ermöglichten es Marlen, Erkrankte weiterhin mit Empathie und fachlicher Expertise beizustehen, auch außerhalb des stationären Pflegealltags. Im Zuge dieser beruflichen Neuorientierung stieß sie auf patient+, das Patientensupportprogramm der good healthcare group, wo sie nun seit April letzten Jahres als Nurse arbeitet. Im gemeinsamen Gespräch erinnert sich die Görlitzerin, wie sich ihr Berufsalltag seit der eigenen Diagnose verändert hat und wie ihr ihre chronische Erkrankung bei der Betreuung anderer Betroffener hilft

 

Zwischen Belohnung und Belastung: Chronisch krank im Traumberuf

Die Alzheimer-Erkrankung ihrer Großmutter gibt Marlen schon früh Einblicke in die Pflege. Schnell wird klar, dass sie später auch beruflich Betroffene unterstützen möchte. In einem freiwilligen sozialen Jahr, das die junge Marlen nach ihrem Schulabschluss in der Altenpflege absolviert, zeigt sich, dass sie ihren Traumjob tatsächlich gefunden hat. Ein Ausbildungsplatz als Altenpflegerin in Berlin machte die Hauptstadt zum neuen Lebensmittelpunkt – sowohl für die Arbeit als auch die Liebe.

Die eigene Familiengeschichte und ihre empathische und ruhige Art ermöglichten ihr damals schnell den wichtigen Zugang zu den Betroffenen. Marlen wächst mit ihren Aufgaben. Jedoch fordert die Sterbebegleitung sie immer wieder aufs Neue heraus. Die anspruchsvolle und nicht selten traurige Arbeit wird allerdings auch durch besonders schöne Erlebnisse belohnt:

„Vor allem die klaren Momente der Betroffenen, in denen ich die Familien dazugeholt habe, oder die Begleitung der Azubis in der Gerontopsychiatrie haben mir Kraft für die Ausführung des Jobs gegeben.“

Trotz herzlicher Belohnung machen der Tagesablauf, die Routine und das Schichtsystem Marlen zu schaffen. Sowohl die im Jahr 2003 diagnostizierte Morbus-Crohn-Erkrankung als auch ihre Schuppenflechte erfordern ganz besondere Aufmerksamkeit, die ihr Job wiederum nicht zulässt.

 

Mut zur Veränderung: Neustart mit Expertise und Empathie

Für die Behandlung ihrer Krankheitssymptome muss Marlen diverse Medikamente nehmen, wodurch sie anfällig für Infekte ist. Dieser Umstand macht vor allem die Arbeit in der stationären Pflege problematisch. Die erhöhte Ansteckungsgefahr und die überdurchschnittlichen Fehlzeiten forderten eine berufliche Veränderung – nicht nur, um ihren Körper zu schonen, sondern auch, um für ihre kleine Familie da sein zu können. Mit einem starken Krankheitsschub im Winter 2013 wurde die Entscheidung unausweichlich: Marlen konnte in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten – zumindest nicht in dieser Form. Zu riskant schienen die gesundheitlichen Folgen für sie selbst. Versperrte die eigene Autoimmunerkrankung nun den weiteren Karriereweg? Mit Hilfe einer Humira-Therapie, die sie im Dezember 2014 begann, eröffneten sich ihr jedoch neue Möglichkeiten.

Die jahrelange berufliche Expertise und auch ihre chronische Krankheit machten sie zur perfekten Kandidatin für die Beratung von Menschen, die andere gesundheitliche Leiden haben. Mit dieser Zuversicht sah sie ihre Krankheit nicht bloß als Missstand, sondern als persönliche Chance. Optimistisch in die Zukunft zu sehen – für Marlen nicht erst seit dieser schwierigen Zeit der Schlüssel im privaten als auch beruflichen Leben.

„Nachdem auch mein Arzt diagnostiziert hat, dass ich so nicht weiterarbeiten kann, war die Arbeit im sozialen Bereich die perfekte Alternative für mich. Meine Gutachterin schlug mir vor, chronisch Erkrankte zu beraten. Daraufhin habe ich im Internet recherchiert und bin auf die good healthcare group gestoßen. Nach meiner IHK-Prüfung zur Kauffrau im Gesundheitswesen im letzten Jahr war mir klar, dass ich als Nurse bei patient+ arbeiten möchte.“

 

Marlen Richter, Nurse, patient+

 

Das eigene Schicksal als Chance: Karriere mit Fingerspitzengefühl

Der berufliche Neustart als Nurse bei patient+ kombiniert Marlens Expertise mit ihren persönlichen Anforderungen. So kann sie den Patienten über den gewünschten Kanal wie Telefon, E-Mail oder Video-Anruf die nötige Unterstützung geben, muss aber nicht vor Ort sein und sich nicht einer möglichen Ansteckung aussetzen. Zudem kann sie sich die Patientengespräche frei einteilen und ist nicht unerwartetem Zeitstress ausgesetzt. Manchmal finden die Gespräche im Wochen-Rhythmus statt, andere nur einmal im Monat, bei akuten Erkrankungen bis zu zweimal die Woche. Neben der Beziehung zu den Patienten wird der regelmäßige Kontakt zu den Ärzten gewährleistet, sodass Änderungen im Therapieplan gemeinsam besprochen werden können. Ihr Alltag ist nun immer noch gezeichnet von Begegnungen, die Marlen nie vergessen wird.

„Ich erinnere mich noch sehr gerne an meine allererste Patientin, mit der ich tatsächlich bis heute telefoniere – obwohl es ihr eigentlich schon besser geht. Es ist einfach toll zu sehen, wie sie sich entwickelt hat.“

Das Allerwichtigste an der Arbeit ist jedoch, dass sich Marlen gut in die Situation der Menschen versetzen kann, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen, da sie den Zustand aus eigener Erfahrung kennt. Dabei geht es nicht nur um die Krankheit selbst, auch der Alltag und der Umgang mit der Familie sind Themen, die die Patienten beschäftigen. Die psychologische Komponente spielt bei diesen Gesprächen somit eine große Rolle. Bei patient+ erkennt Marlen exakt die Bedürfnisse, die zur Genesung der Patienten beitragen, und kann diese befriedigen.

 

Die eigene Leidensgeschichte muss der Karriere nicht im Weg stehen — im Gegenteil!

Die Diagnose einer chronischen Erkrankung ist ein Schock – die Welt der Betroffenen steht Kopf. Wie jeder andere Lebensaspekt verändern sich unter Umständen auch die Möglichkeiten, einem Job nachzugehen, von dem man schon immer geträumt hat. Doch eine gute Nachricht möchte Marlen Richter an die Betroffenen senden:

„Es gibt Orte, an denen Menschen mit Leidensgeschichten wie meiner gebraucht werden, um anderen Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen. Meistens geht es nur am Anfang eines Gesprächs um die Erkrankung, hört man etwas länger zu, wird klar, dass mehr dahintersteckt. Ein offenes Ohr für kleine Erlebnisse aus dem Alltag der Betroffenen, das gegenseitige Verstehen und damit auch die psychische Verfassung der Erkrankten haben großen Einfluss auf den Verlauf einer Krankheit.“

Für die Zukunft wünscht sich Marlen für ihr Berufsfeld ein Programm, was unabhängig vom Medikament berät und eine ganzheitliche Therapie bietet, die ebenfalls psychologische Aspekte berücksichtigt. Auch eine gute Vernetzung zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Selbsthilfegruppen trägt zu einer schnelleren Genesung bei. Ihren Patienten wünscht sie weiterhin Mut, offen über ihre Erkrankung zu sprechen und sich dafür nicht zu schämen.

„Es ist wichtig, auch diesen Teil von sich zu akzeptieren. Nur so kann für das Privatleben und eben auch für den beruflichen Werdegang das Beste für sich und andere herausgeholt werden.“