Ungewohnte Symptome oder Nebenwirkungen, eine zeitweilige Stagnation im Therapieverlauf: Egal wie gut ein Medikament ist, ist die Therapie oder die Krankheit neu für Patient*innen, entstehen verständlicherweise viele Fragen. Zwar wird nach dem ersten Befund gemeinsam mit Mediziner*innen eine Therapie festgelegt, mit der Umsetzung sowie Sorgen und Unsicherheiten stehen Patient*innen jedoch häufig allein da. So kommen Unklarheiten zur Erkrankung und zur Behandlung häufig erst im Nachgang auf. Zudem ergeben sich manche Herausforderungen erst im Alltag. Kein Wunder also, dass Patient*innen die für sie unmittelbar relevanten Themen schwer erkennen können. Oft fehlt zudem schlichtweg die Energie, um solche Probleme anzusprechen. Die richtige Kommunikation von der ersten Ansprache bis hin zur Begleitung der Behandlung kann hier Informationslücken schließen und Betroffene auffangen.
Patient Engagement setzt genau da an und geht über die reine Vermittlung von Informationen hinaus! Im Fokus stehen Patient*innen und ein tiefergehendes Verständnis für ihre Lebenssituationen sowie das Zuhören bei Fragen. Zudem müssen Barrieren abgebaut und ein Zugang zu validen Quellen ermöglicht werden, um schlussendlich die Behandlung besser verstehen und reflektieren zu können. Es gilt daher mittels gezielter Maßnahmen systemischen Zugang zu schaffen und persönliche Ressourcen zu stärken, um das Selbstbewusstsein im Umgang mit der Erkrankung zu fördern. Nur so kann das vielfältige Informations- und Beratungsangebot überhaupt als Unterstützung wahrgenommen und Betroffenen zu mehr Lebensqualität verholfen werden.
Warum ist Patient Engagement wichtig?
Ob bei Rheuma, Diabetes, Morbus Chron oder einer anderen Erkrankung, Patient*innen stehen nach einer Diagnose vor vielen Entscheidungen, die alleine kaum zu treffen sind bzw. für sie getroffen werden. Dabei gibt es nicht den einen richtigen Weg. Zudem dauert es oft eine Weile, bis ein umfassendes tiefes Verständnis für die Erkrankung und Therapie erlangt wird. Auch wissen nur wenige, dass immer die Möglichkeit besteht, eine Zweitmeinung einzuholen oder wollen sich den dahingehenden Stress ersparen bevor ein Behandlungsweg eingeschlagen wird. In solch herausfordernden Situationen benötigen Betroffene vor allem eins: eine Person, die ihnen zuhört, sie versteht und dabei hilft valide, aber vor allem passende Informationen oder Angebote und den Nutzen besser zu verstehen. Dabei gilt es im ersten Schritt vor allem über so wichtige Fragen wie „Was sind eigentlich valide Quellen?“, „Wie kann ich mir Beratung holen?“ oder „Wie kann ich beim Arzt bzw. der Ärztin Fragen zu meiner Therapie stellen?“ aufzuklären und Patient*innen damit Mut zu machen sowie ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Patient Engagement setzt genau hier an und macht einen echten Unterschied zwischen bloßer medizinischer Versorgung und einer ganzheitlichen, menschlichen Erfahrung basierend auf Verständnis, Mitgefühl und Unterstützung. Das richtige Empowerment, also das Stärken von persönlichen Ressourcen sowie Enablement durch das gezielte Abbauen von systemischen Barrieren, sorgen dafür, dass Betroffenen die richtigen Tools und Inhalte bekommen, um die eigene Gesundheit in die Hand zu nehmen und so den Umgang mit der Erkrankung zu verbessern. Dabei geht Patient Engagement über das reine Informieren über Krankheitsbilder und -symptome hinaus. Vielmehr geht es darum, einen Zugang zu Informationen und Angeboten unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Sprachkenntnissen oder anderen möglichen Barrieren zu schaffen und den Menschen als Individuum zu sehen. Pharma muss genau hier ansetzen, um eine faire Ausgangslage für alle zu schaffen. Ganz egal, welche Bedingungen existieren. Denn Betroffene können nur auf Basis eines möglichst passenden und umfangreichen Informations- sowie Beratungsangebots Entscheidungen treffen – und eine Therapie schlussendlich erfolgreich sein
Mit niedrigschwelligen, durch Fachpersonal geführten Chats lebensnah begleiten
Immer mehr Patient*innen – insbesondere jüngere Menschen – greifen seltener zum Telefon. Wurde früher noch schnell einmal der Arzt bzw. die Ärztin aufgesucht, so wird heute „Dr. Google“ befragt. Denn für viele Betroffene ist häufig die aktive Suche nach Hilfe schon mit einer großen Hemmschwelle verbunden. So ist das Stellen von sensiblen Fragen in vollkommener Unsicherheit schwer genug. Zudem verringern persönliche Merkmale, die Betroffene in der Gesellschaft schwächen, gleichzeitig auch die Möglichkeit zu einem fairen Zugang zu Informationen. Niedrigschwellige Angebote wie durch Fachpersonal geführte Chats beispielsweise in einem Patient Support Programm, einer auf die Krankheit abgestimmten Therapiebegleitung, können hier wieder Nähe schaffen, sind in Momenten großer Unsicherheit da und gehen klar mit dem Zeitgeist. Sie sind barrierearm und nah an den Patient*innen gestaltet. So können diese auch mal schnell in der S-Bahn, vom heimischen Sofa aus, während die Kinder spielen oder der bzw. die Partner*in danebensitzt sensible Fragen stellen, die am Telefon ohne geschützten Raum gegebenenfalls unangenehm wären. Der Druck, Themen unter anderem beim Arzt bzw. der Ärztin in der kurzen Zeit im Behandlungszimmer direkt ansprechen zu müssen, ist dabei nicht gegeben. Fragen können in Ruhe formuliert und gut überdacht gestellt werden. Der Zugang zu notwendigen Informationen ist so barrierefrei sichergestellt. Zudem kann das erworbene tiefere Wissen als Grundlage für einen anschließenden Praxisbesuch dienen.
Gemeinsam stark: Kuratierten Community Content zum aktiven weiteren Austausch schaffen
Der Schlüssel zu Vertrauen in die eigene Therapie liegt dann auch im Austausch mit anderen Betroffenen. Denn wenn Patient*innen Menschen erreichen, die die gleichen Erfahrungen mit der Krankheit gemacht haben, können sie eine echte Verbindung aufbauen, fühlen sich verstanden und bekommen Tipps, die nah an ihren Lebenssituationen gestaltet sind. Für weiterführenden Content und das damit einhergehende Empowerment kann also die Community in eigens dafür gegründeten Social Media Gruppen, durch Healthcare Influencer*innen oder den oben genannten Chats im Rahmen von Patient Support Programmen mobilisiert werden. Dabei gilt es, praktisches Alltagswissen möglichst vielen Betroffenen zugänglich zu machen. Hierfür bieten sich unter anderem Mini-Kampagnen oder Social Media Postings zum Einholen hilfreicher Ratschläge an – von Betroffenen für Betroffene. Hierbei kann nach praktischen Tipps vor einer OP oder einem Klinikaufenthalt bis hin zum richtigen Umgang mit Angehörigen oder im beruflichen Kontext gefragt werden. Wichtig jedoch: Nicht jeder Tipp aus der Community ist gleich wertvoll. Zudem gilt es Falschinformationen zu filtern. Eine professionelle Moderation und Leitung durch Fachpersonal sind unabdingbar. Community Manager*innen sind ein absolutes Muss.
Die Tipps und Tricks können dann gesammelt, um Fachwissen ergänzt und beispielsweise zu einem PDF-Ratgeber oder einer Infografik zusammengefügt werden. Natürlich sollte aber bei der Formatauswahl auf die Bedürfnisse der Patient*innen geachtet werden. Denn schließlich hilft nur der Content auch wirklich weiter, der konsumiert wird. Kann dank der guten Ratschläge der selbstbewusste Umgang mit der Erkrankung gefördert werden, stärkt das auch die Zufriedenheit mit der Therapie. Patient*innen werden so bei herausfordernden Phasen eher im Sinne des eigenen Therapieerfolgs entscheiden und Ärzt*innen den Hinweis auf solche niedrigschwelligen Informationsstellen und beispielsweise damit verbundene Patient Support Programme im besten Fall mit dem Behandlungsplan weitergeben.
Motivational Interviewing ermöglicht reflektierte Entscheidungen
Motivational Interviewing ist eine Gesprächsführungstechnik aus der Suchtberatung, die dazu dient, bei Betroffenen, die ambivalent sind in ihrem Verhalten – beispielsweise in Bezug auf die Therapietreue, einen intrinsisch motivierten Willen zur Verbesserung zu wecken. Ganz ohne Bevormundung oder einem moralischen Zeigefinger werden Patient*innen auf Augenhöhe dazu empowert, Entscheidungen auf Basis von Wissenszuwachs zu treffen. Wichtig hierbei ist vor allem die ressourcenorientierte Beratung, in der geschaut wird, was der Mensch für die Problemlösung mitbringt. Basierend darauf werden nach ausdrücklicher Erlaubnis der Patient*innen Unterstützung angeboten oder aber Angebote organisiert, die es ermöglichen, den besprochen Weg eigenständig zu gehen. Geschulte Nurses bieten dabei den bestmöglichen Zugang zu einem breiten Informationsangebot. Patient*innen bekommen so die Chance herauszufinden, was sie wirklich wollen und die Möglichkeit, über weitere Schritte zu reflektieren. Dabei wird aktiv zugehört und nur mit Konsens weiterführend und empathisch aufgeklärt. Beim Motivational Interviewing wird so die Autonomie gestärkt und es Betroffenen ermöglicht, mündige Entscheidungen zu treffen, die eine wirkliche Veränderungsmotivation auslösen. Denn letztendlich sind nur die Erkenntnisse wirklich nachhaltig, die auch eigenständig eintreten.
Fazit: Patient Engagement als Schlüssel zu mehr Lebensqualität
Die Healthcare-Branche muss die Bedarfe von Patienten*innen kennen und mitbedenken, um langfristig erfolgreich zu sein. Patient Engagement ist dabei ein Ansatz, der die Lebenswelt der Betroffenen mehr in den Fokus nimmt und so die Brücke zwischen ihnen und Pharma bildet. Das Ziel dabei ist klar: Es gilt Barrieren abzubauen, mündige Patient*innen zu fördern, diese in der weiteren Therapiebegleitung durch den Einsatz diverser Maßnahmen maximal zu unterstützen und damit ihre Lebensqualität zu steigern. Erst dann wird aus der anfänglichen Therapieentscheidung ein echter Therapieerfolg.
Autorin: Franziska Borkel, BU Head Patient Services, good healthcare group